Inseln der Vernunft schaffen

Wofür sich die Stiftung einsetzt

Die Stiftung medico international fördert weltweit solidarische Hilfe. Und sie stärkt kritische Debatten für eine gerechtere Welt. Damit sichert sie die Unabhängigkeit von medico auch und gerade in politisch unsicheren Zeiten. Von Anne Jung

 

Das Satzungsziel: emanzipatorisches Handeln unterstützen

Es ging um Weitsicht! Es ging um Weltsicht! Im Jahr 2004 berieten Menschen aus dem Umfeld der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international, wie die Unterstützung von Partnerorganisationen in aller Welt und die kritische Öffentlichkeitsarbeit von medico unabhängig von staatlicher Interessenpolitik und medialen Konjunkturen langfristig sichergestellt werden kann. Die Antwort: Ohne Geld wird es nicht gehen. So wurde die Stiftung medico international gegründet. Was als Idee und mit bescheidenen Mitteln begonnen hatte, ist im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte zu einem bedeutenden Stützpfeiler von medico geworden. Mit den Erträgen aus ihrem aktuellen Vermögen kann die Stiftung ihrem Satzungsziel, emanzipatorisches Handeln im Bereich der konkreten Hilfe zu unterstützen, in immer größerem Maße nachkommen. Sie ist inzwischen in der Lage, jedes Jahr rund 20 medico-Projekte in aller Welt ganz oder teilweise zu fördern.

In den Gründungsjahren wurde bisweilen davon gesprochen, dass die Stiftung die Lebensversicherung von medico sei. Das klang immer etwas dramatisch und verwies auf eine unbestimmte Zukunft. In den sich neu formierenden globalen Machtverhältnissen wird dieser Satz allerdings immer spür- und greifbarer. Je tiefer die globalen Spaltungen und je massiver die Angriffe auf das Recht auf Hilfe werden, umso bedeutsamer wird die Stiftung für medico.

Solidarische Hilfe in unruhigen Zeiten

Mit ihrem Wirken trägt sie entscheidend zur Unabhängigkeit der Arbeit von medico bei und hilft, „Inseln der Vernunft zu schaffen“, wie es im Gründungsaufruf der Stiftung heißt. Was bedeutet das konkret? Inseln der Vernunft zu schaffen bedeutet zum Beispiel, sich überall auf der Welt mit Menschen und Initiativen zu verbinden, die das Menschenrecht auf bestmögliche Gesundheit gegen die Logik des Marktes verteidigen. Die Unterstützung durch die Stiftung richtet das Augenmerk auch auf die oft übersehenen psychischen Folgen von Krieg und (patriarchaler) Gewalt, Ausbeutung und Diskriminierung. Dabei ist es von großer Bedeutung, den Einsatz für psychische Gesundheit mit der emotionalen, sozialen und rechtlichen Anerkennung des erfahrenen Unrechts sowie dessen Aufarbeitung zu verknüpfen. Die Stiftung steht für den Schutz und die Ausweitung der Rechte von Menschen ein, die auf der Flucht sind und Krieg, Klimafolgen oder Armut zu entkommen versuchen. Solche Unterstützung verlangt Beharrlichkeit und ausreichend finanzielle Mittel, gerade dann, wenn dieses Tun im Widerspruch zu dem herrschenden Diskurs von Abschottung stattfindet.

Kritisches Denken braucht sichere Räume 

Diese Vielfältigkeit der Arbeit von medico dauerhaft abzusichern ist eine der zentralen Aufgaben der Stiftung. Dieser Aufgabe kann sie aufgrund des Engagements vieler immer besser nachkommen. Zahlreiche Zustiftungen, Darlehen und Nachlässe haben dazu beigetragen, dass medico als Ganzes heute auf einem soliden Fundament beruht. 

Auf dieser Basis kann die Stiftung medico international auch ihrem zweiten Satzungsziel nachkommen: kritische gesellschaftliche Debatten zu den drängenden Fragen der Zeit zu initiieren und zu fördern. Das tut sie. So analysiert sie auf dem alljährlich stattfindenden Stiftungssymposium mit Referent:innen und den Teilnehmenden die Weltlage und erkundet Wege zu gerechteren globalen Verhältnissen. Im Gründungsaufruf war diese Aufgabe so beschrieben: „Auch auf die Gefahr hin, sich missliebig zu machen, nimmt medico international zu den Hintergründen von Not Stellung und drängt auf Veränderung.“ Wie gefährdet Organisationen, die sich durch ihr kritisches Denken und Handeln missliebig bei den Herrschenden machen, einmal wieder sein würden, war damals bloß zu erahnen. Aktuell werden fundamentale Rechte wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit wieder massiv eingeschränkt. Global, aber auch hierzulande werden Aktivist:innen, Menschenrechtler:innen und Nichtregierungsorganisationen in ihrer Arbeit behindert, mit Drohungen und Diffamierungskampagnen eingeschüchtert und attackiert.

Verbindungen schaffen – untereinander und mit der Welt

Auch hier beweist sich also, wie „weit- und weltsichtig“ die Gründung und Entwicklung der medico-Stiftung war. Dank ihr konnte das medico-Haus in Frankfurt entstehen, das für den Verein, die Stiftung und andere soziale Organisationen ein sicheres Domizil darstellt. Mehr noch: Die Veranstaltungsräume im Erdgeschoss eröffnen und sichern Räume, in denen medico, aber auch andere Gruppen und Initiativen der kritischen Zivilgesellschaft zusammenkommen, sich austauschen und öffentlich diskutieren. Das trägt zur Verbindung untereinander und mit der Welt bei. Beides ist – im Lokalen wie im Globalen – Voraussetzung, um strukturelle Veränderungen hin zu einer gerechten Welt durchsetzen zu können. Dies erfordert einen langen Atem. Genau hierfür wurde die medico-Stiftung einst gegründet. Und genau dies ermöglicht sie mit ihrem dauerhaften Wirken.

Anne Jung, Sprecherin der Stiftung medico international