Demokratie Global
Zum 175. Jahrestag der ersten deutschen Nationalversammlung im Mai 2023 kommen 50 zivilgesellschaftlich Engagierte zu einer Global Assembly nach Frankfurt.
Vor 175 Jahren, im Mai 1848, wurde in der Frankfurter Paulskirche die erste deutsche Nationalversammlung eröffnet. Bei den offiziellen Feierlichkeiten zu ihrem Jubiläum wird dieses Parlament als Kristallisationspunkt des liberalen Aufbruchs zu demokratischer Partizipation, zu Freiheits- und Grundrechten gewürdigt werden. Aber in Zeiten kapitalgesteuerter Globalisierung kann dem historischen Erbe nur gerecht werden, wer auch den Anspruch auf die Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten ins Globale weitet. Aus diesem Gedanken ist die Idee einer „Globalen Versammlung“ entstanden, zu der eine Initiative zivilgesellschaftlicher Organisationen unter Beteiligung der Stiftung medico international einlädt.
Grundlegend für die Entwicklung des Projekts „Global Assembly “ war die Initiative „Der Utopische Raum im globalen Frankfurt“, einem Zusammenschluss von Frankfurter Rundschau, Institut für Sozialforschung und Stiftung medico international. Getragen wird das Projekt zudem von einem breiten Bündnis politischer Aktivist:innen aus Menschenrechts-, Antirassismus-, Feminismus- und Entwicklungsorganisationen sowie Medien, politischen Stiftungen und Thinktanks. Manche arbeiten seit Jahrzehnten eng mit Partnerorganisationen im Globalen Süden zusammen.
Geplant ist ein transnationaler Diskussionsprozess, der knapp ein Jahr dauert und mit einem ersten Treffen vom 14.-17. Mai 2023 beginnt. Dem öffentlichen Auftakt in der Paulskirche am Sonntag, den 14. Mai, folgt eine dreitägige Klausur in der Evangelischen Akademie am Frankfurter Römerberg. Eingeladen sind 50 Aktivist:innen aus etwa 35 Ländern der ganzen Welt, die sich trotz vielfach schrumpfender Freiräume und oft unter den Bedingungen staatlicher Repression für die Verteidigung, Durchsetzung und Erweiterung von Menschenrechten engagieren. Zu ihren Tätigkeitsfeldern gehören unter anderem allgemeine Menschenrechtsarbeit, Einsatz für Frauenrechte, Ökologie und Klima, Lohn- und Arbeitskämpfe, Meinungsfreiheit und kulturelle Identität.
Im Frühjahr 2024, wenn sich die Verabschiedung der Paulskirchenverfassung zum 175. Mal jährt, ist eine große Versammlung mit 100 bis 150 Teilnehmenden, die eigentliche „Global Assembly“, geplant. Hier sollen dann die Ergebnisse der Debatten einer breiteren nationalen und internationalen Öffentlichkeit vermittelt werden. Zwischen den beiden Versammlungen ist ein zusätzlicher Austausch in den jeweiligen Weltregionen vorgesehen, um für das Treffen 2024 die Fragen und Themen zu präzisieren und ein möglichst breites Spektrum von Teilnehmenden zu gewinnen.
Die Entscheidung, welche Schwerpunkte die „Global Assembly “ im Einzelnen setzt, bleibt selbstverständlich den Eingeladenen vorbehalten. Der mögliche thematische Rahmen lässt sich mit den Stichworten „Demokratie – Menschenrechte – Gerechtigkeit“ umreißen. Daraus könnten sich zum Beispiel folgende Fragestellungen ergeben:
Können wir davon ausgehen, dass die Unteilbarkeit der Menschenrechte auch weiterhin für zivilgesellschaftliche und emanzipatorische Initiativen ein zentraler Bezugspunkt ist?
Sind diese Rechte in ihrer gegenwärtigen oder einer fortzuentwickelnden Form angemessen und ausreichend, um allen Menschen politische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen?
Was braucht es, um den Anspruch aller auf eine soziale und internationale Ordnung zu realisieren, die auf Gerechtigkeit und Freiheit basiert und die in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung niedergelegten Rechte voll verwirklicht?
Ist – und gegebenenfalls wie ist – eine globale Demokratie von unten möglich, wie kann diese gestaltet sein?
Die Zusammensetzung der „Global Assembly“ ist ausdrücklich nicht repräsentativ im Sinne parlamentarischer Kriterien. Für die Versammlung im Mai 2023 wurde der Kreis der Eingeladenen in Zusammenarbeit mit politischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen bestimmt, die größtenteils in einem Trägerkreis vertreten sind, darunter medico. Wichtige Aspekte dabei waren ein möglichst breites Themenspektrum, die regionale Verteilung sowie Kriterien der Diversität, etwa die Verteilung nach Geschlechtern. Auf die Teilnahme offizieller Vertreter:innen von staatlichen oder zwischenstaatlichen Institutionen wurde verzichtet zugunsten von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen Basisarbeit leisten. Unter den Teilnehmer:innen werden zehn Personen sein, die von medico nominiert worden sind.
Die Einladung zu einer „Global Assembly“ in Frankfurt wurde in dem Bewusstsein ausgesprochen, dass der Globale Norden eine historische und aktuelle Hauptverantwortung für ungezügelte Ausbeutung von Menschen und Natur sowie für globale Ungleichheit und Ungerechtigkeit trägt. Die Einladenden gehen nicht davon aus, die richtigen Antworten oder auch nur die richtigen Fragestellungen zu haben. Fragen nach der Vision von wahrhaft universalen, nicht hegemonialen Werten, Formen und Strukturen gemeinsamen Handelns können nur gemeinsam mit denen verhandelt und (bestenfalls) beantwortet werden, die weltweit auf lokaler, nationaler, regionaler Ebene für die Verfügungsgewalt über ihr Leben, für ihre Beteiligung und ihre Rechte kämpfen. Räume, um darüber gemeinsam offene Debatten zu führen, werden politisch immer enger. Dem soll dieses Vorhaben entgegenwirken.